19. Januar: | Die alte Schützenbrücke wird nunmehr bald "auf Wanderschaft" gehen müssen, nachdem sie fast 45 Jahre lang ihre Aufgabe als Bindeglied zwischen zwei Flußufern recht und schlecht erfüllt hat. Die Inschrift "Schützenbrücke" in dem schmiedeeisernen Bogen am Treppenaufgang der Paradiesseite wird dann an ihrem neuen Bestimmungsort am Rasenmühlenwehr in "Sportbrücke" umgeändert werden müssen, wenn man nicht vorzieht, sie aus Pietätsgründen zu erhalten. |
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Nur wenige unserer Leser wissen noch etwas aus der Erbauungszeit der Brücke und von den Gründen ihrer Aufstellung. Ursprünglich vermittelte den spärlichen Verkehr an dieser Stelle zwischen beiden Ufern eine Fähre des Fischermeisters Münster. Die eigentliche Veranlassung zu ihrem Bau war die Verlegung des Vogelschießens nach dem gegenseitigen Saaleufer. | |
Obwohl sich die Jenaer Schützengilde mit dem Bürgerverein vereinigt hatte, dem der manchen noch bekannte "Rautenkranz" gegenüber der Rasenmühle gehörte, der dann die Bezeichnung "Schießhaus" trug, waltete über die Schützengesellschaft lange Zeit kein günstiger Stern. Erst nach Beendigung des 70er Feldzuges kam wieder "Leben in die Bude". Doch schon 1872 mußte die Schützengesellschaft ihre Zelte hier abbrechen wegen Abgabe ihres Geländes für den Bau der Saaleisenbahn. Es fanden längere Jahre keine Vogelschießen mehr statt und mangels eines Schießstandes konnte auch das Scheibenschießen nicht geübt werden. Erst als 1880 aus dem Trättnerschen Besitz in Obercamsdorf ein Stück Gelände von der Gesellschaft käuflich erworben und Schießstände östlich der heutigen Oberrealschule gebaut werden konnten, entwickelte sich der Schießsport wieder. Es wurden vier Scheibenstände gebaut, eine kurze Vogelstange und ein Probierstand auf Vogel. Dazu wurde ein massives Schießhaus aufgeführt. Die vielerlei Unannehmlichkeiten, welche die Benutzung der Fähre mit sich brachte, ließen nunmehr den Wunsch nach einer Fußgängerbrücke lebendig werden. | |
1880/81 wurden die ersten beiden Vogelschießen wieder abgehalten, die Jahrzehnte geruht hatten, und zwar die Volksfeste in den Paradiesanlagen, das Schießen drüben. Inzwischen war der Bau der Brücke in Angriff genommen. Die Kosten für dieselbe hatte die Schützengesellschaft durch Ausgabe von Aktien unter sich aufgebracht. Es wurden 200 Aktien zu je 100 M, zu 4 v. H. verzinslich, mit jährlich stattfindender Auslosung ausgegeben. Im Frühjahr 1882 war der Bau so weit, daß die Brücke am 1. Mai dem Verkehr übergeben werden konnte. Natürlich war das für das damalige Jena ein Ereignis. | |
Die Brücke war ausschließlich für die Benutzung durch den Personenverkehr zugeschnitten. Ein am Paradiesaufgang eingebauter eiserner Quirl, der von einem anstehenden Häuschen aus durch den Brückenzolleinnehmer, den Invaliden Steinbrücker, bedient wurde, regelte, oder besser gesagt hemmte den Verkehr. Denn nur wer 3 Pfg. Brückengeld an der Kasse eingezahlt hatte, wurde als Passant durchgelassen. Kinder und Jugendliche sorgten weidlich dafür, daß der Brückengeldeinnehmerposten seinem Träger zur wahren Qual wurde. So mancher von uns kann sich wohl noch den alten mürrisch gewordenen Herrn vorstellen. Im Gedränge krochen die Kinder unter dem Quirl hindurch und übermütige Studenten sprangen darüber, die letzteren weniger des Dreiers wegen, sondern um das Polonaisestehen zu umgehen, was namentlich Sonntags eine tolle Geschichte war. Unter diesen Umständen war es für den Brückengeldeinnehmer in der Tat eine Erlösung, als nach 19 Jahren die Brücke dem freien Verkehr übergeben wurde. Der Verkehr über die Brücke hatte sich dermaßen gesteigert, daß sich die Brücke bereits bezahlt gemacht hatte. Am 15. Mai 1901 übergab die Schützengilde die Brücke in die Hände der Stadt nebst einem Fonds vom 20 000 M. | |
Das damals zum ganzen Apparat gehörige Schützenhaus (im Volksmunde heute noch das "alte Schützenhaus") genannt, wurde zum Vogelschießen 1883 als viel bestaunter Neubau der Öffentlichkeit übergeben. Die vorstehende Glashalle wurde erst 1885 angebaut. |
Quelle: /JV/ - 19.01.1928
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Jena, den 6. September 2014 -