Schützenadler
Kalender der Schützengesellschaft Jena

Das Jahr 1834

6. Mai: (Di) Auf der Anhöhe beim Schießhause.
„Ja, hier ist ein Ort des Zaubers, wenn im goldnen Morgenlicht
Phantasie ihr buntes Leben durch die Blüthenräume flicht,
Wenn das Ohr verklungnen Tönen noch einmal mit Wonne lauscht,
Und das Schöne, das noch keimet, schon dem Blick vorüberrauscht!
In der Vögel muntre Weisen mischt sich ernst ein fernes Chor,
Steigt und fällt, wie Meereswogen, schwingt zum Himmel sich empor,
Und der Hörer dichte Massen stehen lautlos hin: gedrängt,
Daß zum überfüllten Saale sich die weite Schießstatt engt.
Jetzt erwacht die todte Menge, wogt herunter und hinauf,
Und es schmettern andre Töne, nahend von der Stadt, herauf.
Seh' ich dort nicht Fahnen wehen, strahlt es nicht wie Waffenglanz?
Leuchten dort nicht Silberschilder durch der Bäume grünen Kranz?
Ha! Sie kommen! Unabsehbar wallt der schöne Zug heran,
Ehrerbietig weicht die Menge, dicht umdrängend seine Bahn.
Donnernd grüßen die Kanonen, und es thut ihr ehr'ner Mund
Rings dem frohbewegten Thale den Beginn des Festes kund.
Sagt, was ist es, das sie feiern, das die ganze Bürgerschaft
Zu so freud'gem Fest berufen und zu Brüdern umgeschafft?
Ist es nicht des Bürgers Ehre, die aus alten Zeiten stammt,
Das Bewußtsein seiner Würde, das der Väter Brust durchflammt?
Wie vor dreimal hundert Jahren sie gestrebt nach Einem Ziel,
Und das Höchste sinnig bargen in der Freude heitrem Spiel,
Also stehen sie noch heute, treu durch Bürgersinn vereint,
Schützend Ordnung, Recht und Sitte, und dem Schlechten ewig feind.
Was gestiftet graue Ahnen, wahrten sie mit treuem Sinn,
Trugen das Vermächtnis liebend durch der Zeiten Wechsel hin;
Heute reichen sie den Vätern, den entschlafenen, die Hand,
Feiern noch ihr Fest der Treue, als ererbtes Liebespfand. -
Doch wo bin ich? Aus den Blüthen schöner Gegenwart heraus
Trägt's mich in vergang'ne Tage, in noch kommende hinaus.
Sprechen diese alten Bäume von der Lust, die sie gesehn?
Lispeln diese jungen Zweige von der Zukunft, hell und schön?
Ja, in diesen heitern Räumen kehrt die Lust noch öfter ein,
Um zu ihrem schönsten Tempel sich den schönsten Ort zu weihn,
Den Natur und Kunst geschmücket, dessen treubewahrtes Bild
Noch die Brust des fernen Wandrers mit Erinn'rungsfreuden füllt.”
    Wilh. Treunert.

Quelle: /pA/ - 06.05.1834

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Jena, den 18. März 2007 -