Schützenadler
Kalender der Schützengesellschaft Jena

Die Schützenbrücke ist frei!
Jenaer Volksblatt vom 16. Mai 1901, Lokales.

Jena 15. Mai 1901.
Die Schützenbrücke ist frei!

In Anwesenheit zahlreicher Mitglieder der Schützen­gesell­schaft, des Großh. Bezirks­direktors Schmid, Ober­bürger­meister Singer, 2. Bürger­meister Dr. Wagner, mehrerer Mit­glie­der des Jenaer Gemeinde­rates und Bürger­meister­stell­vertreter Zipfel als Vertreter der Gemeinde­behörden von Wenigen­jena wurde heute Mittag 12½ Uhr die zur Feier des Tages mit bunten Fähnchen und Quirlanden fest­lich geschmückte Schützen­brücke der Stadt­gemein­de Jena übereignet. Der Akt ging in dem mit grünen Zwei­gen dekorierten Zoll­häuschen auf dem linken Ufer der Saale vor sich, wo die Herren, so gut der be­schränk­te Raum es zuließ, Auf­stel­lung genom­men hat­ten. Die Öf­fent­lich­keit mußte unter diesen Umständen sich natürlich als aus­ge­schlos­sen betrach­ten und so hat kein profanes Auge die Zere­monie beob­achtet, die sich in den "hei­ligen Hallen" des Zoll­häuschens vollzog, oder die Schätze erblickt, die dort "aufge­speichert" gewesen sein mochten. Die Herren, die unter sothanen Umständen in der Mittags­hitze dicht­gedrängt im engen Raum aus­harren mußten, waren selbst­ver­ständ­lich auch nicht zu beneiden. Was zu den Ohren unseres an der offenen, aber von Men­schen­lei­bern fürch­terlich verbarri­kadierten Thüre stehenden Be­richt­er­stat­ters drang, soll jedoch der Nach­welt über­liefert werden. Nach­dem im Namen der Schützen­gesell­schaft Herr Haupt­mann Kämmer einige – uns leider un­ver­ständ­lich ge­blie­bene – der Bedeu­tung des Augen­blicks ange­paßte Worte ge­spro­chen hatte, ließ sich die sonore Stimme unseres Stadt­ober­hauptes, des Herrn Ober­bürger­meister Singer, wie folgt ver­neh­men:

„Es ist mir eine ganz besondere Freude, heute meines Amtes zu walten in einer Ange­lege­nheit, die in der That von großer Wichtig­keit für die Stadt Jena und den Vorort, unsere liebe Nach­bar­gemeinde Wenigen­jena ist. Diesen Tag geschaffen zu haben ist das Verdienst der Schützen­gesell­schaft, insbesondere das Verdienst von Männern, die wir heute das Glück haben unter uns zu sehen.
Vor 20 Jahren waren es die Herren Mühlenbesitzer Julius Gruner und Kommerzienrat Köhler in Gemein­schaft mit dem ver­stor­benen Zimmer­meister Fried­rich Har­tung, welche an die Stadt­gemeinde Jena das Ersuchen rich­teten, den Bau einer Brücke über die Saale nach dem Schützen­platz dadurch zu för­dern, daß sie die Erlaub­nis zur Auf­stel­lung der Brücken­pfeiler auf städtischen Boden geben. Es ist damals die Erlaubnis erteilt worden, weil die städti­schen Behörden erkannt haben, daß that­sächlich in dieser Über­brückung eine große Wichtigkeit für die Entwicklung der Stadt Jena und die Nachbargemeinde Wenigenjena liegt.
Die Verhältnisse, unter denen wir in dem für seine ur­sprüng­li­chen Zwecke ja ganz geeig­neten Raum weilen, ge­stat­ten es mir nicht, auf die Ge­schich­te, welche die Schüt­zen­brücke heute hinter sich hat, näher ein­zu­ge­hen und ich will nur kurz das Wich­tig­ste strei­fen.

Am 13. Februar (1883) wurde die Brücke unter dem Jubel eines Teils der Bevölkerung einge­weiht und die Ent­wick­lung von Jena und Wenigen­jena hat es – wie vorhin der Herr Schützen­haupt­mann schon ganz richtig her­vor­ge­ho­ben hat – mög­lich gemacht, daß nach nicht ganz 20 Jah­ren nicht nur die Brücke der Stadt schul­den­frei über­geben werden kann, sondern auch ein Fond von 20.000 Mk. vor­han­den ist, aus dessen Mit­teln die Stadt die Brücke zu unter­halten hat.
Wenn ich heute die Brücke und zugleich den respektablen Unterhal­tungs­fond im Namen der Stadt über­nehme, so ver­anlaßt mich das, bei dieser Gelegen­heit zu ver­sichern, daß die Stadt die ver­trags­gemäßen Ver­pflich­tungen ge­treu­lich er­fül­len wird. Nicht nur, daß die Schüt­zen­brücke jetzt frei wird; sie steht auch unter dem Schutz der Stadt und soll­ten sich bau­liche Ver­ände­rungen, Repara­turen u. dgl. not­wen­dig machen, so über­nimmt die­sel­ben von heu­te an die Stadt.
Damit, daß heute die Brücke in den Besitz der Stadt Jena übergeht, kommt so mancher Wunsch, der daran geknüpft worden ist, seiner Erfül­lung näher. Schon oft ist im Schoße unserer Ver­wal­tung der Wunsch nach einem städtischen Park ausge­spro­chen wor­den. Nachdem die Schüt­zen­brücke frei ist, ist es mög­lich, die Brücken­hof­wiese (jen­seits der Saale) dem Para­dies anzu­schlie­ßen, Wege und Plätze anzu­legen und auf beiden Seiten der Saale einen städ­tischen Park zu schaffen, wie ihn die Städte Weimar und Eise­nach auch haben. (Bravo)
Und das dies möglich ist, verdanken wir vor allem dem weit­schauen­den Blick der­jeni­gen Her­ren, die wir heute das Ver­gnü­gen haben unter uns zu sehen: den Herren Gruner und Köhler. Ihnen, sowie der Schüt­zen­gesell­schaft sage ich im Namen der Stadt ver­bind­lich­sten, herz­lich­sten Dank.
So übernehme ich denn die Brücke in Ver­wal­tung und Unter­hal­tung der Stadt; in­glei­chen den Fond. Mögen die Wün­sche, die von Seiten des Herrn Haupt­mann an die Über­gabe geknüpft worden sind, allent­halben in Erfül­lung gehen.”

Soviel sich von Außen annehmen ließ, übergab im fol­gen­den Augen­blick Herr Ober­bürger­meister Singer den Mammon Herrn Stadt­schrei­ber Berg­mann mit der Ver­siche­rung, daß der Schützen­gesell­schaft die kassen­mäßige Quittung über den Empfang dem­nächst zu­ge­hen werde. Nun entströmten die Herren der drang­voll-fürchter­lichen Enge und bega­ben sich über die Brücke nach dem Schüt­zen­haus, wo sie den pro­gramm­gemäßen "Früh­schop­pen" intus nahmen. Die übrigen Fest­lich­kei­ten sind aus unserer gestri­gen Notiz be­kannt.


Quelle: /JV/ - 15. + 16.05.1901

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Jena, den 13. Juni 2008 -