Sehr geehrte Versammlung! | ||
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Vollendet steht nun das Bauwerk vor unseren Augen, welches ein Verein von Mitgliedern der hiesigen Schützengesellschaft gegründet hat. Unsere Brücke ist heute festlich geschmückt, um von der geehrten Versammlung ihre Weihe zu empfangen. Da geziemt es uns denn vor allen Dingen Gott zu danken, daß er sein Auge über den Arbeitern, welche bei der Aufrichtung der Brücke thätig waren, hat walten lassen und daß er seinen starken Arm ausgestreckt hat, um unseren Schützenhauptmann von der Macht des Stromes, die ihn bedrohte, zu erretten. Im Namen des Bauvereins sage ich ferner unseren Dank den Großherzoglichen und den städtischen Behörden dafür, daß sie uns die Schwierigkeiten, welche sich der Ausführung des Unternehmens entgegenstellten, haben hinwegräumen helfen. Ihnen aber allen, welche unserer Einladung zu Folge hier erschienen sind, um an unserer Freude und Festveranstaltung Theil zu nehmen und ihre Wünsche mit den unsrigen zu vereinen, daß die Brücke bestehen und dem Wohle der Stadt für alle Zeiten dienen möge, rufe ich im Auftrage unseres Vereins ein herzliches Willkommen zu. Wir glauben mit unserer Brücke ein echtes Werk des Friedens errichtet zu haben. Sie macht unsere Stadt unabhängig von der Gewalt des Stromes, aber sie läßt ihm seine Freiheit, mag er still und sanft durch seine Ufer gleiten oder in Sturm und Wogen dahin brausen. Ungehindert können die Flößer nach wie vor ihr Gewerbe betreiben. Und wenn des Morgens Frische oder die Kühlung des Abends zum Gondeln einladet, wenn die Eisbahn die Jugendlust und Manneskraft zu fröhlichem Ergötzen ruft, da schaut unsere Brücke freundlich herab auf das heitere Leben und stört Niemand in seiner Freude. Weiter, geehrte Versammlung, reicht unsere Brücke, indem sie die beiden Ufer des Stromes verbindet, den Nachbargemeinden zu friedlichem und freundschaftlichem Verkehre mit unserer Stadt die Hand. Sie erleichtert ihnen die Teilnahme an den Vorzügen, welche das größere städtische Gemeinwesen auszeichnen, die Hilfeleistung, wenn wir oder sie in Noth sind. Allen Denen, welche von den benachbarten Ortschaften ihre Nahrung in der Stadt suchen oder ihre Bedürfnisse dort holen, kürzt sie den Weg und die Zeit ab. Stadt und Land sind auf einander angewiesen, sie sollen mit einander in recht lebendigen Verkehr treten, in Frieden und Freundschaft leben und einander hilfreich sein, dann befinden sich Alle am wohlsten. Um den Arbeitern, welche in Jena Beschäftigung suchen, die Brücke nutzbarer zu machen, werden wir ihnen Preisermäßigungen bewilligen. Mit rechter Freude und ohne alle selbstsüchtige Regung erkennen wir, daß unsere Brücke das Mittel ist, das Wohnungsgebiet der Gemeinde Wenigenjena zu erweitern. Der Wohlstand der Nachbargemeinden belebt und fördert auch die Erwerbsthätigkeit in unserer Stadt. Schon jetzt wird das Bedürfnis als ein dringendes empfunden, neue Anlagen, neue schattige Gänge, ein neues Paradies für unsere Stadt zu eröffnen, wo unserer Mitbürger nach harter Anstrengung, sei es des Körpers, sei es des Geistes, Erquickung und neue Kraft zur Arbeit suchen können. |
Solche Anlagen sind kein Luxusbedürfnis, sie sind namentlich für unsere an Schatten arme Stadt nothwendig, um ihre Bewohner an Körper und Geist gesund zu erhalten. Für die Erweiterung des Paradieses erschließen aber die jenseitigen, nun nicht mehr von uns getrennten Wiesen angesichts der Berge und des Flusses die schönsten Hoffnungen. Endlich, geehrte Versammlung, will ich nicht unerwähnt lassen, daß die Brücke auch die Verbindung unserer Stadt mit dem Schieß- und Festplatz der Schützengesellschaft vermittelt. Der Wunsch, eine solche Verbindung herzustellen, hat den Gedanken an die Erbauung der Brücke wohl veranlaßt, aber - es würde der Bau wohl ein frommer Wunsch geblieben sein, wenn unsere Brücke nicht zugleich einem höherem Interesse diente - die Liebe zu unserer Vaterstadt war die Seele, welche unseren Verein ins Leben rief. Manche sind unter uns, welchen die Theilnahme an dem Unternehmen ein Opfer auferlegt hat, das sie für die Interessen der Schützengesellschaft allein nicht gebracht haben würden. Die Liebe zu unserer Stadt hat den Kameraden die Herzen und Hände geöffnet. Es giebt im Leben keine höhere Freude als die Förderung der Wohlfahrt der sittlichen Gemeinschaften, denen wir angehören. Die selbstsüchtigen Interessen verengern die Brust, sie trennen und scheiden was zusammen gehört. Der Gemeinsinn aber macht das Herz weit und groß, er begeistert zu edlen Thaten und macht die Menschen opferwillig zu gemeinnützigen Werken. Die gemeinsame Arbeit für die Wohlfahrt unserer Vaterstadt wird alle Gegensätze, welche die Bürgerschaft vorübergehend spalten, aussöhnen und, wie ich hoffe, alle, die mit ganzem Herzen der Stadt angehören, zu Werken des Friedens zusammenführen. Aus eigener bürgerlicher Initiative, ohne behördliche Anregung haben wir den Brückenbau angefangen und vollendet. In unserer aufstrebenden Stadt harrt noch manches Bedürfnis auf seine Befriedigung. Nicht mit Unrecht werden die städtischen Behörden Bedenken tragen, überall aus öffentlichen Mitteln die erforderliche Abhilfe zu gewähren. Möge das Beispiel unserer Brücke die Bürgerschaft ermutigen, immer weitere Kreise zu ähnlichem Streben und Schaffen zu vereinigen. Wir wünschen, daß die Brücke recht fleißig benutzt werde und es wird dann hoffentlich auch der Zeitpunkt nicht fern sein, wo wir das Eigenthum der Brücke unentgeltlich der Stadt überweisen können. Inzwischen empfehlen wir unsere Brücke, "die Schützenbrücke", wie wir sie taufen und fortan nennen wollen, der Obhut der städtischen Behörden. Die Liebe zu unserer Vaterstadt möge der Schutzgeist der Brücke sein. Diesem Wunsch lassen Sie uns Ausdruck geben, indem Sie mit mir in den Ruf einstimmen: "Hoch lebe unsere Vaterstadt, hoch lebe Jena!" |
Quelle: /JZ/ - 14.02.1882
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Jena, den 5. Februar 2006 -